Eduardo Marx
PianoPassion

Wovon "Mondschein" und "Sturm" singen  

Dreimal dieselbe Melodienote – der erste Satz der „Mondscheinsonate“ von Beethoven entspringt einer minimalistischen musikalischen Ur-Zelle. Indes konzentriert sich in ihr eine Bedeutungswelt mit einem weiten Horizont. Einfachheit und Komplexität sind hier dialektisch vereint – und dieser poetischen Verdichtung verdankt sie ihre Wirkung und Popularität. Der einfache Klagegesang wurde stilbildend für die folgenden Jahrzehnte der Romantik komponiert, wie z.B. Adorno in Bezug auf Chopins Fantaisie-Impromptu feststellte. Im dritten Satz ereignet sich eine einzige Eruption. Spannungen, die zuvor verinnerlicht waren; Erregungen, die in der musikalischen Ur-Zelle konzentriert waren, brechen aus und entladen sich in dem Presto Agitato. Die Musik fordert ein Spiel heraus, als ginge es ums Leben (Gulda); im Grunde ging es vom Erklingen der ersten Note ja auch um nichts anderes: um die Frage nach dem Tod, dessen Stunde - und dem menschlichen Herzen, das sich diesem Rätsel stellt. Am Ende bleibt die Frage indes offen: Wo ist der Trost? Wer schenkt Erlösung? Die Heiterkeit und Helligkeit des zweiten Satzes bleiben die Antwort schuldig. Sie wirken episodenhaft und können nicht – wie etwa das Adagio aus der „Sturm“-Sonate – einen Ort stiften für das, was „bleibet“ (Hölderlin), oder dieses zumindest in Aussicht stellen. Hören Sie in das Presto Agitato als Foto-Video:



Beethoven wagt im Laufe seines Schaffens einen Aufbruch in unbekannte, verborgene Bereiche. In der „Sturm“-Sonate verlässt er bewährte Formen, die klassischen Muster und Rezepte der Sonatenstruktur. Er öffnet sich dem Ungewissen. Beethoven horcht dort hinein. Das Rezitativ des pedalverschleierten Pianissimos im ersten Satz zeugt davon. Die „Sturm“-Sonate sucht nach der Quelle des Ausdrucks selbst. Sie ist aus dieser Suche hervorgegangen, ja sie dokumentiert diese Suche nach der Quelle der Musik, dem Gesang. Im Ergebnis bleibt der Weg selbst, die „Be-Wegung“, wie Heidegger sagen würde. Ähnliches versuchte dieser Denker in seiner Disziplin, indem er dem „Seyn“, der Dichtung bzw. dem Gesang denkend nachspürte – als Ursprung menschlicher Existenz. Insofern mag eine Interpretation dieser Sonate mithilfe des Denkens Heideggers gelingen, zumindest inspirierend sein für Hörer und Interpreten (vgl. hierzu meine Publikation „Heidegger und der Ort der Musik“). Gelingt es Beethoven im Adagio jenen Ort zu stiften für das, was „bleibet“ (Hölderlin)? Oder zumindest anklingen zu lassen, wo er – und demnach wir als Menschen - zu verorten wäre? Lässt sich im gesanglichen Nebenthema nicht erahnen, dass der „Stern“ (Adorno), der dort aufgeht, der von Betlehem sei und Versöhnung stiftete?